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Geschichte hautnah mit Holocaust-Überlebender

Oberbürgermeister Bastian Sieler begrüßt die Zeitzeugin Henriette Kretz im Musikforum Katharinenkirche ©Hansestadt Stendal
Oberbürgermeister Bastian Sieler begrüßt die Zeitzeugin Henriette Kretz im Musikforum Katharinenkirche

Bis auf den letzten Platz gefüllt war die Stendaler Katharinenkirche am 27. Januar 2024 zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, das Maximilian-Kolbe-Werk und die Hansestadt Stendal hatten dazu im Rahmen von „Denken ohne Geländer“ die Zeitzeugin Henriette Kretz aus Antwerpen eingeladen. Als Jüdin in Polen geboren, überlebte sie den Holocaust in verschiedenen Verstecken.

Henriette Kretz wird in diesem Jahr 90 Jahre alt. Sie gehört, so Stephanie Roth vom Maximilian-Kolbe-Werk in ihrer Anmoderation, zu den aktivsten Zeitzeuginnen. Seit 20 Jahren erzählt sie in Deutschland immer wieder ihre Geschichte und kommt mit den Menschen ins Gespräch darüber, vor allem mit jungen Menschen. In Magdeburg und Stendal war sie vor der Gedenkveranstaltung eine Woche lang in Schulen unterwegs. Henriette Kretz setzt Vertrauen in die junge Generation. „Ich habe schon viele junge Leute gesehen, ich weiß, dass sie sich nicht verführen lassen“, sagt sie in der Katharinenkirche. Immer wieder geht ihr Blick zu einer Gruppe Jugendlicher, die direkt vor der Bühne auf dem Boden sitzen, während sie im Interview mit Stephanie Roth aus ihrem Leben berichtet.

Jähes Ende einer glücklichen Kindheit

Die kleine, zarte Frau mit der gutmütigen Ausstrahlung spricht über ihre behütete Kindheit im polnischen Iwaniska, von der Liebe ihrer Eltern, von ihrem Hund und ihren Freunden. Eine Kindheit, die 1939 mit dem Überfall der Deutschen auf Polen jäh endet. Henriette ist vier Jahre alt. Was eine Jüdin ist, weiß sie damals nicht. Sie erzählt von der Flucht nach Lemberg und vom Leben in Sambór, wo der Krieg die Familie wieder einholt, vom Zwangsumzug ins jüdische Viertel, das kurze Zeit später zum Ghetto wird. Sie schildert, wie sie als einziges Kind in einem Frauengefängnis eingesperrt wird, wie die Wärter ein Neugeborenes in die Zelle werfen, wie sie betet, „Gott, wenn du mich rauslässt, nehme ich das Baby mit“.

Beziehungen ihres Vaters, der sich als Arzt Respekt erworben hatte, und Bestechung retten die Familie mehrfach vor dem Tod. Henriette Kretz nimmt ihre Zuhörer gedanklich mit in einen winzigen Kohlenkeller ohne Fenster, in dem Vater, Mutter und Kind nur sitzen oder liegen können. Ein ukrainischer Feuerwehrmann und seine Frau verstecken sie dort und später auf ihrem Dachboden, doch deutsche Soldaten entdecken Henriette und ihre Eltern. Als sie abgeführt werden, bleibt der verzweifelte Vater stehen, wirft sich auf einen Soldaten und ruft seinem Kind zu: „Lauf!“ Und Henriette läuft los, hört im Fliehen die Schüsse auf den Vater, die Schreie der Mutter, wieder Schüsse – und weiß, dass sie keine Eltern mehr hat. Unterschlupf findet sie im Waisenhaus von Sambór. Die Schwestern verstecken dort während des Krieges elf jüdische und drei Kinder von Sinti und Roma zwischen den ukrainischen und polnischen Waisen.

„Es ist schön zu leben“

In der Katharinenkirche ist es sehr still, während Henriette Kretz spricht. Direkt an die jungen Leute vor der Bühne gewandt sagt sie: „Das war keine besondere Geschichte, das war das Schicksal aller jüdischen und Sinti- und Roma-Kinder, sie waren alle zum Tode verurteilt.“ Als das Publikum zu Fragen an die Zeitzeugin eingeladen wird, möchte eine Besucherin wissen, wie man es schafft, mit so einem Schicksal umzugehen. „Man ist zufrieden, dass man am Leben ist. Sehr viele Menschen mussten sterben im Krieg. Es ist schön zu leben und das muss man würdigen. Ich habe nichts dagegen, noch 100 Jahre alt zu werden“, antwortet Henriette Kretz und lächelt dabei. Sie berührt nicht nur mit der Erzählung aus ihrer Vergangenheit, sondern auch mit ihrer menschenfreundlichen Präsenz in der Gegenwart.

Kaum ist der letzte Ton der Musik verklungen, mit der Pianistin Haesung Bahr die Veranstaltung einfühlsam begleitet hat, und die letzte Blume überreicht, steigt Henriette Kretz von der Bühne und geht zu den Jugendlichen. Eine junge Frau lässt sich von ihr das Buch „Eine Kindheit im Schatten der Schoah“ signieren, in dem Henriette Kretz ihre Erinnerungen aufgeschrieben hat. Weitere Besucher kommen auf sie zu, danken ihr, berühren sie, wünschen ihr alles Gute – und dass sie die 100 Jahre schaffen möge.

Wahre Auseinandersetzung mit der Geschichte notwendig

Die Begegnung mit Henriette Kretz bestätigte, was Stendals Oberbürgermeister Bastian Sieler in seinen Begrüßungsworten gesagt hatte: „Ein Gespräch mit einer Zeitzeugin, ein Bericht aus erster Hand, berührt und bewegt noch einmal ganz anders als das, was wir in einem Geschichtsbuch lesen.“ Der Holocaust dürfe kein abstraktes Thema aus dem Geschichtsunterricht sein, sondern es müsse eine wahre Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte stattfinden. Das Maximilian-Kolbe-Werk und die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt tragen mit ihrer Arbeit einen wichtigen Teil dazu bei. „Der Bericht von Zeitzeugen gehört zum Kern einer Erinnerungskultur, die darauf ausgerichtet ist, die Verbrechen des Nationalsozialismus auch im Bewusstsein kommender Generationen zu halten“, sagt Landeszentrale-Direktor Maik Reichel bei der Gedenkveranstaltung in Stendal. Die Beschäftigung mit der Geschichte sei kein Selbstzweck, sondern notwendige Erinnerung mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft, um zu lernen, wohin wir gesellschaftlich gehen wollen. Maik Reichel dankte Henriette Kretz für die Kraft, mit der sie immer wieder ins Gespräch geht: „Viele haben es nicht verkraftet und konnten auch in ihren Familien nicht darüber sprechen.“

Hinweis

Zur Gedenkveranstaltung eingeladen waren zwei Zeitzeuginnen. Alodia Witaszek-Napierała, geboren 1938 in Polen, musste leider aus gesundheitlichen Gründen absagen. Nach Konzentrationslager und „Lebensborn-Heim“ wurde sie im April 1944 als „Geschenk des Führers“ einer deutschen Familie zur Adoption übergeben. Von nun an hieß sie Alice Luise Dahl und wohnte in Stendal. Erst 1947 kehrte sie in ihre polnische Heimat zurück. Stephanie Roth vom Maximilian-Kolbe-Werk hofft, das Gespräch mit Alodia Witaszek-Napierała in Stendal im Laufe des Jahres nachholen zu können.

Lesetipps

Henriette Kretz: „Willst du meine Mutter sein? Eine Kindheit im Schatten der Schoah“, Druckerei und Verlag Hille, ISBN 978-3-939025-38-2

Reiner Engelmann: „Alodia, du bist jetzt Alice!“ Kinderraub und Zwangsadoption im Nationalsozialismus. cbj Jugendbücher ISBN 978-3-570-31268-1

(auch erschienen in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung: "Alodia, du bist jetzt Alice!" | bpb.de)

 

Bericht von Edda Gehrmann, im Rahmen der Aktionswoche "Denken ohne Geländer"

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